Updates 22.07.09 20:20 (Luftbild), 21:00 (Anlagen Diss. Balaske – Sportplatzpfeiler)
Inzwischen gibt es ein paar weitere Reaktionen in der Geoblogosphäre: Gunnar Ries (Amphibol) hat einen kurzen Artikel, und bei Dave's Landslide Blog gibt es einen ergänzenden Nachtrag. Dort ist auch ein Video verlinkt, das veranschaulicht, wie schnell eine verflüssigte Böschung fließen kann. Auf Scienceblogs.de ist leider noch nichts zu finden – es wird Zeit, daß dort auch mal ein Geologe assimiliert wird…
Die Suche nach den Ursachen wird sich sicher noch eine Weile hinziehen. Ich möchte hier für Interessierte ohne große Interpretation oder Wertung ein bißchen geologisches Kartenmaterial zusammenstellen.
Für den größeren geologische Zusammenhang kann man beim Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB) die Landesübersichten 1:400000 (BÜK400, GÜK400 Oberflächenkarte, Karte ohne Quartär, usw.) online betrachten.
Noch keine geologische Karte, aber die älteste Karte, die ich beschaffen konnte: das Preußische Meßtischblatt 1:25000 von 1906 (Quelle: gescanntes Meßtischblatt von GeoGreif) zeigt bereits die grundlegende Situation: Das heutige Nachterstedt liegt in der südwestlichen Ecke und weiter außerhalb des Kartenblatts. Die vom Erdrutsch betroffene Siedlung wird ungefähr südlich der Brikettfabrik errichtet werden, wo derzeit noch in der „Grube Konkordia“ Braunkohle abgebaut wird.
In der Geologischen Karte 1:25000 (GK25) von 1926 ist die Weiterentwicklung erkennbar: die Bahnlinie wurde nach Süden verlegt, der Tagebau rückte nach NE vor:
Interessant sind vor allem der grau schraffierte Bereich, der in der Legende der GK25 als „eingeebnete Bruchfelder und zugefüllte Tagebaue“ bezeichnet wird, und die braune Umrandung „abgebaute Braunkohle“. Leider finden sich weder in der Karte noch im Erläuterungsheft weitere Hinweise zum Braunkohletiefbau und seinen Strecken und den Bruchfeldern. Die zukünftige Siedlung befindet sich wie bereits erwähnt südlich der Brikettfabrik, auf der Kippe der Grube Konkordia. (Der Haupteil des neuen Nachterstedt liegt südwestlich der neuen Bahnlinie und außerhalb des Kartengrenze, auf unverritzem Gebirge.)
In der Lithofazieskarte Quartär 1:50000 (LKQ50) ist der Tagebau mit Stand vom Dezember 1973 eingetragen. Das alte Nachterstedt ist bereits überbaggert, das neue im Süden errichtet worden:
Die Aufschlußpunkte südlich und östlich der Brikettfabrik (inzwischen entstand hier noch ein Kraftwerk) zeigen Mächtigkeiten der Aufschüttung von 18m bzw. 40m. Der Aufschlußpunkt auf dem Fabrikgelände zeigt 2m Löß, auf den tieferen Horizontkarten dann fluviale und glazifluviale Sande und Kiese und einen Elster-Geschiebemergel:
1m Aufschüttung
2m eW Löß
11m fSI Mittel- bis Grobsand
3m fSI „Kiessand“ (Sand- und Kies-Wechsellagerung)
3m gE Geschiebemergel
6m gfEv Mittel- bis Grobsand
2m gfEv „Kiessand“ (Sand- und Kies-Wechsellagerung)
4m gfEv Mittel- bis Grobsand
3m gfEv Feinsand, z.T. schluffig, sowie Fein- bis Mittelsand
Quartärbasis bei 92m NN
In der Dissertation von P. Balaske (1998) ist die weitere Entwicklung des Tagebaus kurz beschrieben:
Die Erschöpfung der Lagerstätte zwang später zum Abbau der Sicherheitspfeiler der Brikettfabrik und des Kraftwerkes von Nachterstedt, unter der Bezeichnung „Werkpfeiler“ von 1975–1986, sowie des „Sportplatzpfeilers“ (1986–1990) nördlich des heutigen Bahnhofs.
Ich kann den „Sportplatzpfeiler“ leider nicht recht verorten. Der Bahnhof ist auf untenstehendem Luftbild mit einem weiß-auf-blauen Symbol gekennzeichnet. Nördlich davon kann ich eigentlich kein abbauwürdes Gebiet ausmachen. (Die Anlagen zur Dissertation, in der sich auch die Übersichtskarten finden, sind leider nicht online.) Vielleicht kann ein jemand ortskundiges mir da weiterhelfen?
Update 22.07.09, 21:00 Ich habe die Anlagen in der Dissertation gefunden. Offensichtlich hatte ich gestern, spätabends, Tomaten auf den Augen. Der Sportplatzpfeiler befindet sich SW des Werkpfeilers und W der Siedlung, wie dieser Ausschnitt aus der Anlage 3 der Disseration (S. 119 im PDF) zeigt:
Wenn ich das richtig sehe, rückte die Tagebaukante durch Abbau der beiden Pfeiler ziemlich nah an die Siedlung heran.
Ich habe ein aktuelles Luftbild von Google Maps (das Aufnahmejahr ist nicht angegeben, aber es kann höchstens ein paar Jahre alt sein) mit den Kippenflächen und dem „Werkpfeiler“ aus der LKQ50 kombiniert. Außerdem habe ich versucht, anhand der verschiedenen Luftbilder aus der Presse das ungefähre Ausmaß des Erdrutschs zu skizzieren:
Update 22.07.09, 20:20: Beim Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (GeoBasis-DE) kann man mit dem „DOP-Viewer“ Digitale Orthophotos (DOP) einsehen. Diese sind etwas neuer als die Bilder von Google – der See ist etwas weiter angestiegen. Die neuere Uferlinie habe ich im Bild ergänzt.
Der optische Zusammenhang zwischen Werkpfeiler (orange) und Erdrutsch (rot) ist sehr suggestiv. Man sollte aber beachten, daß der Pfeiler nach Fertigstellung der LKQ50 ebenfalls abgebaggert wurde (s.o.).
Literatur:
Balaske, P. (1998): Die marin beeinflußten Sande im Tertiär von Nachterstedt-Schadeleben in der östlichen Subherzynen Senke – Sedimentologie, Fazies und stratigraphische Bewertung. Dissertation, Universität Halle-Wittenberg. Online abrufbar.
Kommentare (10)
Was mich interessiert wäre zu wissen, an welchem Horizont die Rutschung began. Hast du die irgendwie zusammenbasteln können, auf welcher Höhe im Profil der Grundwasserspiegel stand und, ob der evtl. auf der Höhe des Kontaktes Aufschüttung/natürl. Sedimente lag?
Horizont, in der die Rutschung begann: Soweit bin ich noch nicht…
Auf die Schnelle hab ich grad nur nen Wasserstand von April gefunden: 81,6 mNN. Das Grundwasser müsste dann auch in ungefähr dieser Höhe liegen, mit Entfernung vom See wohl ansteigend.
Die Quartärbasis lag im Tagebaugebiet ungefähr zwischen 60 und 90 mNN, in der Bohrung im (später abgebaggerten) Werkpfeiler bei 92 mNN. Die Braunkohle keilt nach Süden aus, darunter kommen noch andere tertiäre Sedimente und irgendwo zwischen 0 und 50 mNN beginnt dann Keuper (aus dem Profilschnitt der GK25, also mit Vorsicht zu genießen).
In den beiden Bohrungen in der südlichen Kippe liegt die Basis der Aufschüttung bei 103 und 129 mNN (siehe Scan der LKQ), in den tieferen Horizontkarten sind dort fSI, gfE und/oder glE Bildungen auskartiert. Im Liegenden des Quartärs dann Tertiär. Wenn ich dazu komme, kann ich ja die anderen Horizontkarten der LKQ einscannen. Leider habe ich keine „tollen“ Karten fürs Präquartär. Vielleicht kannst Du aus der Dissertation von P. Balaske was entnehmen.
Noch was: Worauf in Dave's Landslide Blog hingewiesen wurde: der Böschungsfuß (sozusagen das Widerlager/Stütze) ist recht stark erodiert.
Habe gerade die Landesbohrdatenbank des LAGB entdeckt. Ich find das echt toll.
Es gibt eine Bohrung von 1980 direkt in der Siedlung (direkter Link aufs Stäbchen, weiß aber nicht, ob das klappt), wesentliche Schichtgrenzen (Bodenarten in Klammern):
GOK = 127,9 mNN
bis 73,4 mGOK = 54,5 mNN: Hauptmittel 1 (fG, gs, mg')
Die feinsandig-schluffige Einschaltung ungefähr in der Mitte der Aufschüttung (91,9 bis 96,1 mNN) scheint nach N ein Stück weit auszuhalten, ich habe das aber nicht durchgängig geprüft.
Cool! Der Links geht auch! Wenn man nun noch wüsste wo der GW-Spiegel lag und wo der Rutschungshorizont liegt, dann könnte man paar begründete Vermutungen anstellen.
Ich habe die Karte aus Balaskes Anlage nochmal über das Luftbild gelegt (blogge ich heute Abend evtl.). Die westliche Abbruchkante ist danach mit der SSW-NNE streichenden östlichen Begrenzung des Sportplatzpfeilers identisch. Und auch der generelle Verlauf der Rutschung passt, wie du schon erwähnt hast, (zwar suggestiv, aber nahe liegend) recht gut auf den Umriss der Brikettfabrik bzw. auf den Umriss der Sicherheitspfeiler. Durch deren Abbau hat man quasi eine Art Halbinsel aus unter bestimmten Bedingungen instabilem Kippenmaterial geschaffen, das vorher durch die Pfeiler aus anthropogen unbeeinflusstem Boden gestützt wurde. Der Grundwasserstand wäre auch aus dieser Sicht sehr interessant…
Hallo, wer Interesse zum Wasserstand in den letzten Jahren zeigt, sollte mal diesen Link benutzen.
http://www.foerderkreis-seeland-ev.de/wasserstand/wasser.htm
http://www.foerderkreis-seeland-ev.de/wasserstand.html
(fj, 15.06.10: Link aktualisiert)
Olli, danke für den Link!
Im Vergleich zum Wasserstand vom April (81,6 mNN) hat sich allerdings auch nicht mehr so viel getan (letzter Wasserstand von Ende Juni: 82,0 mNN).
Hallo, als Sammler von regionalen Karten des nördlichen Harzvorlandes bin ich auf Ihrer Seite auf den Ausschnitt der geolog. Karte GK25 Blatt 4134 von 1912-22 gestoßen.
Meine Frage: wo finde ich den kompletten Scan dieser Karte in dieser Auflösung?
Event. auch die TK25-4134 in höherer Auflösung als bei GeoGreif.
Vielen Dank im Voraus.
D. Sperling
Hallo Herr Sperling, leider habe ich auch keinen Scan der Geolog. Karte im Netz gefunden. Für Brandenburg und Sachsen gibt es umfangreiche digitale Sammlungen, für Sachsen-Anhalt bedauerlicherweise nicht. Die Abbildung in meinem Artikel ist ein Scan der GK aus dem Bestand des LS Umweltgeologie der BTU (wo ich arbeite).
Eine weitere TK25, von 1934, gibt es bei der Deutschen Fotothek. Die Auflösung des Downloads ist nicht berauschend, aber interaktiv (Link „Zoom“) ist sie sehr gut.
It is a pleasure to read this weblog, thanks to its up-to-date information and interesting posts. Look into my web page UQ9 for some really good points and find out more about Airport Transfer.
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〈 22 Jul 2009, 7:54 | # 〉
[...] Jenn hat in seinem Blog den aus meiner Sicht ersten fachlichen Beitrag zum Unglück von Nachterstedt geliefert. Er zeigt geologisches und historisches Kartenmaterial [...]
〈 29 Jul 2009, 5:21 | # 〉
[...] DGG hat gestern, 28. Juli 2009, eine Pressemitteilung herausgegeben, die sich in Hinblick auf das Unglück von Nachterstedt der Rolle und Bedeutung der Geowissenschaften bei Katastrophenereignissen widmet. [...]
〈 29 Jul 2009, 5:37 | # 〉
[...] die sich mit der Rolle der Geowissenschaftler bei Katastrophenereignissen wie in Nachterstedt befasst. Obwohl ich Inhaltsdopplungen vermeiden will, stelle ich die Mitteilung auch auf hier [...]
〈 15 Jun 2010, 6:25 | # 〉
[...] die sich mit der Rolle der Geowissenschaftler bei Katastrophenereignissen wie in Nachterstedt befasst. Obwohl ich Inhaltsdopplungen vermeiden will, stelle ich die Mitteilung auch auf hier auf [...]
〈 15 Jun 2010, 6:26 | # 〉
[...] Jenn hat in seinem Blog den aus meiner Sicht ersten fachlichen Beitrag zum Unglück von Nachterstedt geliefert. Er zeigt geologisches und historisches Kartenmaterial [...]
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