Off The Rails

Fahrkarte 16.07.10, massiv gestempelt

Das Allgäu und ich sollen wohl nicht zusammen­kommen. Das Priestewitz-Problem beim letzten Mal diente wohl nur als sanfte Vor­warnung. Diesmal war's eine „Fahrt“ (Ich habe Hemmungen, diese Art des stockenden Voran­kom­mens1 mit dem dyna­mischen Wort „Fahrt“ zu bezeichnen.), bei der so richtig alles zusammenkam.

Dabei dachte ich, ich wär clever2 und fahr mit dem Nachtzug, weil bei der Verbindung freitags tagsüber schon in der Fahrplanauskunft stand, daß ich den Anschlußzug in Augsburg wahrscheinlich nicht erreichen würde. Und der wäre der letzte ins Allgäu gewesen.

Der Nachtzug fuhr in Berlin so um Acht3 ab. Zu dieser Zeit befand ich mich allerdings im schönen Blankenfelde im Süden Berlins an der Endstation der S2. Man muß nämlich wissen, daß der Zug von Cottbus über Calau und Südkreuz4, mit dem ich in Berlin eine Stunde Zeit zum Umsteigen gehabt hätte, vor Teltow eine längere Pause einlegt, weil es, Zitat, „nur noch einspurig weitergeht und vor uns noch fünf, sechs andere Züge warten“ (wegen Weichen- oder Signalstörung, das wechselte ein bißchen). Später dann die Entscheidung, bis Teltow weiterzuschnecken, dort zu wenden, nach Blankenfelde zu fahren und uns der S-Bahn zu überantworten5. So gegen Neun war ich dann schon im Hauptbahnhof. Und das alles passiert zur Zeit wohl regelmäßig, wie mir ein Mitfahrer erzählt hat.

Warum erscheint da in der Fahrplanauskunft nicht ein dickes rotes Ausrufezeichen, daß dies der böse Bruder des Askese-Expresses6 ist? Wenn zu einer Fahrtzeit von knapp zwei Stunden eine Verspätung von nochmal zwei Stunden dazukommt, und das gewohnheitsmäßig, wäre es doch das mindeste, die Kunden davor zu warnen.

Also, Nachtzug weg. Im ReiseCenter konnte ich mir immerhin die Fahrkarte als „Zugbindung aufgehoben“7 stempeln lassen. Leider konnte mir die sehr nette Mitarbeiter zwar eine Alternative ausdrucken, dank Wunder der EDV aber nicht sagen, ob in den jeweiligen Nachtzügen überhaupt noch Plätze frei wären.

Schnell also in den ICE nach Hannover gehüpft, inzwischen mit einem leichten Hungergefühl. Natürlich gab's an Bord nix zu essen, außer Süßigkeiten und Käsesandwich, und auch kein Entspannungsbierchen, weil im Bordrestaurant die Kühlung ausgefallen war.

Hannover, kurz nach Elf. Am dortigen ServicePoint konnte man mir versichern, daß der Nachtzug komplett ausgebucht sei.8 Die Karte wurde dann für den Folgetag gültiggestempelt, und ich durfte statt im Nachtzugabteil im InterCityHotel9 nächtigen. Immerhin waren Zimmer und Frühstück ganz ordentlich.

Ein neuer Tag, frisch los, ICE nach Augsburg, nur dort umsteigen, das muß doch klappen.

Der geneigte Leser wird erraten, was nun kommt.

Nun, eigentlich kam nichts, für einige Zeit. Triebwerksschaden des Zugs aus Hamburg. Hannover haben wir mit 22 Minuten Verspätung verlassen, in Augsburg hätte ich 22 Minuten zum Umsteigen. Weil Verspätungen die Tendenz haben, sich eher zu verschlimmern, schau ich in meine Tasche und stelle ich mit Unbehagen fest, daß ich vergessen habe, meinen Tachyonenvorrat fürs überlichtschnelle Umsteigen10 mitzunehmen.

Immerhin hab ich meinen Rechner dabei und es gibt sogar Steckdosen11 hier. Ich kann also Musik hören und meine Odyssee sozusagen livebloggen, wenn auch erstmal nur auf meine Festplatte.

Bis Kassel haben wir schon 34 Minuten erreicht, und vor Würzburg müssen wir wegen hoher Streckenauslastung noch ein bißchen warten. Später dann noch eine Signalstörung als Bonus. Als Sahnehäubchen wieder etwas später dann die Information, daß der Blitz ins Stellwerk eingeschlagen hat. Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit verzögert. In Würzburg sind wir mit 70 Minuten Verspätung angekommen. In Treuchtlingen hatten wir einen außerplanmäßigen Halt wegen Lokführerwechsels.

In Augsburg dank weit über einer Stunde Verspätung natürlich ungefähr 3 Minuten nach Abfahrt des nächsten Zugs nach Fischen angekommen. Also nochmal Fahrkarte stempeln lassen; diesmal die von Augsburg nach Fischen, weil dort kein IC dabei ist und der nächste Zug der IC Nebelhorn12 ist. Dann noch eine dreiviertel Stunde am Augsburger Bahnhof rumgelungert, was natürlich auch ziemlich prickelnd ist. Der IC kam natürlich auch verspätet an. Wir stehen noch in Augsburg und die Zugbegleitern trällert total happy, daß wir jetzt eine neue Lok bekommen haben. (Was mich vermuten lässt, daß die Fahrgäste in diesem IC auch keine so glückliche Fahrt hatten.) Nach einer Bremsprobe geht's auch gleich los.

Dann ist bis Fischen erstaunlicherweise nichts außergewöhnliches mehr passiert.

Fazit

Gesamtreisezeit: 23,5 Stunden.

Verzögerungsursachen:

  • Störung im Betriebsablauf
  • Signalstörung
  • Weichenstörung
  • Triebwerksschaden
  • Blitzeinschlag im Stellwerk
  • außerplanmäßiger Halt (mehrfach: Blankenfelde, Treuchtlingen)
  • kein Zug mehr an diesem Tag
  • Anschlußzug (bzw. S-Bahn) konnte nicht warten

Ursachen, die überraschenderweise nicht aufgetreten sind:

  • Oberleitungsschaden
  • Personenschaden
  • Schneeverwehungen
  • Böschungsbrand (Update 19.07.10)
  • Kinder auf den Gleisen (Update 19.07.10)

Positiv: die Klimaanlagen haben durchweg funktioniert.


  1. Voran? Nur im besten Falle; oft war die generelle Richtung eher rückwärts oder seitwärts zum Ziel. []
  2. Welch Hybris! []
  3. Erstaunlich früh für einen Nachtzug, find ich. []
  4. Noch eine vermeintlich gute Idee – ich wollte mir den Schienen­ersatz­verkehr über Königs Wusterhausen ersparen… []
  5. Die war gerade abgefahren, also nochmal 20 Minuten warten. []
  6. Der heißgeliebte Eurocity Wawel, der ebenfalls über Calau und Südkreuz fährt und auch ein nettes Sortiment von, immerhin nicht ganz so schlimmen, Unannehmlichkeiten bereithält. []
  7. Ich hatte einen Sparpreis gebucht. []
  8. Ja, die Ferienzeit. []
  9. Woher hat die Bahn diesen Hang zum CamelCase? []
  10. Hm, korrekterweise würde die Zeit bei überlichtschneller Bewegung eh nicht rückwärts laufen – eine nicht zulässige, aber doch hin und wieder zu findende Extrapolation aus der Tatsache, daß die Zeit mit Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit immer langsamer läuft und bei Lichtgeschwindigkeit stehen bleiben würde. []
  11. Glücklicherweise konnte ich einen Tischplatz ergattern. Ein bißchen mehr Steckdosen hätte ich von meinem Erste-Klasse-Upgrade schon erwartet. []
  12. Der, bei dem in Fischen früher noch Blasmusik aus den Bahnhofs­laut­sprechern ertönte. Gibt's auch nicht mehr. Die Zeiten sind schlechter geworden. []

Kommentare (16)

  1. Elchträger 23 ⟨ 19.07.10, 12:14 | #  ⟩

    Oh man, DAS ist mal 'ne Verspätung, sogar für dich!
    Wir sind eben pünktlich aus Speyer angekommen.
    Es gab bei Hin- und Rückreise keine Probleme.
    Dafür hat der Zugbegleiter auf der Rückfahrt sehr viel Freude an den Durchsagen gehabt und es immer und immer und immer wieder ausgelebt.

    Zurück zu dir: erstattet die Bahn eigentlich Urlaubstage? wahrscheinlich erst ab 24 Stunden 😉

    …und dann viel der Vau eben noch der nicht aufgetretene Böschungsbrand ein.
    Bei diesem Wetter wäre der nicht einmal überraschend gewesen.

    Dann wünschen wir dir einen dafür umso schöneren Urlaub!!!

  2. Vau 23 ⟨ 19.07.10, 10:19 | #  ⟩

    Es gab auch keine spielenden Kinder im Gleis! Wird ja auch immer gern genommen.
    Sehr schön war auch gestern im Zug, dass der Typ quasi non-stop Durchsagen gemacht hat und oft während der Durchsage eine SMS bekommen hat. Und so ein Standard-Nokia-Piepton hat schon Wucht, wenn er aus den Bahnboxen dröhnt. Aber ich will mich nicht beschweren, immerhin waren wir nahezu pünktlich!
    Ich wünsche viel Spaß in der Heimat! 🙂

  3. fj 232 ⟨ 19.07.10, 11:46 | #  ⟩

    Oh ja, ihr habt Recht, da hab ich glatt zwei Klassiker vergessen. Hab ich mal ergänzt. Immerhin, da ich mit der Bahn und nicht mit dem Alex gefahren bin, konnte mir das Bermudadreieck Sonthofen-Blaichach-Immenstadt nicht gefährlich werden. 😉

    Die Böschungsbrände hat der Lübbi in letzter Zeit dazu benutzt, seine Uhr zu stellen, so regelmäßig traten die auf.

    Die SMS-Töne kenn ich auch – können die nicht wenigstems mal die öden Standardpiepser ersetzen?

  4. Lutz 4 ⟨ 19.07.10, 8:24 | #  ⟩

    Kaum zu glauben. Sehr plastisch nacherzählt ;-). Dagegen ist meine DB-Irrfahrt vom April 2009 ja kaum erwähnenswert... ich mach's trotzdem: http://lutzgeissler.wordpress.com/2009/04/14/eine-reise-die-ist-lustig/

  5. fj 232 ⟨ 19.07.10, 10:55 | #  ⟩

    Es scheint ja jeder so seine Geschichten erzählen zu können. Gibt's eigentlich einen Bahn-Blog-Aggregator?

  6. Ingo 16 ⟨ 12.08.10, 8:16 | #  ⟩

    Du weisst aber schon, dass vor ca. 120 Jahren das Automobil erfunden wurde? Nimm das nächste mal doch nen Mietwagen 🙂

  7. fj 232 ⟨ 17.08.10, 12:26 | #  ⟩

    Ich mach mir doch nicht die Finger schmutzig.

  8. Ingo 16 ⟨ 17.08.10, 1:18 | #  ⟩

    Ok, fahr weiter Zug, aber bring die Bahn dazu, in Fischen wieder Musik zu spielen 🙂

  9. fj 232 ⟨ 17.08.10, 6:10 | #  ⟩

    Naja, die meiste Zeit klappt das mit der Bahn schon. Dieses Mal war halt sozusagen der 6er im Lotto...Ein Mietwagen wär wahrscheinlich eher noch teurer geworden, und damit wär ich auch nur bis Kempten gekommen. Und wie ich mein Glück kenne, wär ich im Stau hängengeblieben. ;-)Apropos: möchtest Du wirklich mit einem 120 Jahre alten Auto quer durch Deutschland fahren? :-p

  10. Manja 16 ⟨ 17.08.10, 6:20 | #  ⟩

    Erlebnisreisen mit der deutschen Bahn!

  11. Ingo 16 ⟨ 17.08.10, 7:18 | #  ⟩

    Naja, du musst ja ned so ein altes mieten, ein 90 Jahre altes reicht ja auch und dürfte eher noch billiger sein 🙂

  12. fj 232 ⟨ 17.08.10, 9:34 | #  ⟩

    Wer weiß ob ich an der Tankstelle für so ein taufrisches Gefährt die passende Mischung bekomme. 😉

  13. Ingo 16 ⟨ 17.08.10, 10:02 | #  ⟩

    Tja, selber mischen 🙂

  14. fj 232 ⟨ 18.08.10, 1:47 | #  ⟩

    Dann sollen halt die Fischinger nicht ihren Bahnhof schließen, sondern zu unserem gesegneten Landesvater um ein besseres Verkehrskonzept fürs Allgäu beten. ;-)Ich war aber eigentlich froh, daß keine Blasmusik spielte; sonst hätt ich mich noch mehr als Touri im eigenen Land gefühlt, als ich eh schon tat.

  15. Ingo 16 ⟨ 18.08.10, 2:54 | #  ⟩

    Hmm, die B19 neu ist doch endlich fertig 🙂

  16. fj 232 ⟨ 18.08.10, 9:43 | #  ⟩

    Stimmt, das ist ne gute Sache. Und die Brücke bei Thanners haben sie schlußendlich auch noch so hingekriegt, daß sie nicht in der Mitte durchhängt. 😉

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